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Medikamente
Immer häufiger werden neue Medikamente bereits vor deren offizieller Zulassung in den Massenmedien als «Wundermittel» angepriesen. Man erinnert sich an Kampagnen für sog. Lifestyle-Medikamente wie z.B. Abmagerungsmittel oder Medikamente gegen Potenzstörungen. In Medizinsendungen werden aber auch neue «normale» Medikamente, z.B. gegen hohen Blutdruck, Blasenschwäche, die Parkinson-Krankheit usw. ziemlich unkritisch noch vor der Markteinführung vorgestellt. In der letzten Zeit mussten aber verschiedene dieser neuen Medikamente plötzlich wegen unvorhersehbarer, z.T. lebensgefährlicher Neben- oder Wechselwirkungen zurückgezogen werden. Müsste man deshalb dem amerikanischen Arzt Sidney Wolfe Recht geben, der fordert, neue Medikamente grundsätzlich erst fünf Jahre nach deren Einführung zu verschreiben?
Was ist der Hintergrund dieser Forderung? Werden Medikamente wegen der Gewinnsucht der Pharmaindustrie, der Apotheker und Aerzte heutzutage ohne genügende Prüfung auf den Markt gebracht? Tatsache ist, dass trotz sorgfältig durchgeführter grosser Medikamententests Nebenwirkungen, die weniger als einmal bei 1000 Behandelten auftreten, wegen ihrer Seltenheit höchstens zufällig festgestellt werden können. In Arzneimittelstudien müssen zudem schwangere, kranke oder ältere Teilnehmer oder Teilnehmerinnen aus sicerheitsgründen meist ausgeschlossen werden. Die sich daraus ergebenden Anwendungseinschränkungen werden nach der offiziellen Zulassung häufig weniger streng beachtet, besonders, wenn die Patienten beim Arzt den dringlichen Wunsch äussern, das neue Wundermittel, von dem sie vielleicht in der «bz» gelesen haben, verordnet zu erhalten...
Müssen wir Dr. Wolfe Recht geben und jedes neue Medikament während fünf Jahren in den Regalen der Apotheker lassen? Sind wir damit fünf Jahre später wirklich klüger, ob das neue Medikament die bessere Wahl ist als das alte? Würde niemand die neuen Mittel einsetzen, könnte sich schliesslich die Anwendungserfahrung im Praxisalltag nicht entwickeln. Wissen wir denn nach der Wartefrist genügend Bescheid über seltene Nebenwirkungen? Die Antwort ist leider nicht so einfach. Alte, bewährte Medikamente sind nicht einfach gute und günstige Pillen, neue nicht automatisch schlechte und teure! Es gehört zur ärztlichen Kunst, neue Behandlungsmöglichkeiten nicht zu früh, aber auch nicht zu spät einzusetzen und die Patienten bei der Auswahl des Medikamentes korrekt zu beraten. Zu vielen älteren Medikamenten steht dem Arzt eine umfassende Dokumentation und eine jahrelange Anwendungserfahrung zur Verfügung.
Behandlungsergebnisse, die erst nach Jahren festgestellt werden können (z.B. die Vermeidung von Schlaganfällen durch Behandlung des hohen Blutdruckes) oder seltene Nebenwirkungen liegen bereits vor. Von neueren Mitteln müssen wir langfristige Wirkungen erst aufgrund von Zwischenresultaten oder Vergleichswerten (z.B. ähnlich starke Blutdrucksenkung) annehmen. Damit haben neuere Medikamente oft zwei Nachteile: die unvollständige Langzeit-Dokumentation und das Risiko, dass doch noch eine unerwartete, vielleicht gefährliche Nebenwirkung auftreten könnte. In der Medikamentengeschichte hat sich manchmal nicht das erste Medikament einer neuen Wirkstoffgruppe längerfristig durchgesetzt, sondern ein Nachfolger, dessen Verträglichkeit sich später als vorteilhaft erwiesen hat.
Dennoch ist es meines Ermessens falsch, jedes neue Medikament aus unseren Behandlungsplänen eine gewisse Zeit völlig auszusperren. Es ist aber notwendig, vor einem Entscheid zur Verordnung neuer Medikamente bestehende Alternativen zu prüfen. Ferner muss berücksichtigt werden, dass für neue Medikamente häufig, aber nicht immer, ein höherer Preis verlangt wird. Während und nach der Einnahme sind gewisse Regeln einzuhalten. Bei unerklärlichen gesundheitlichen Veränderungen sollte immer an eine Nebenwirkung gedacht und der Arzt umgehend informiert werden. Das Medikament sollte rasch abgesetzt werden, da manchmal erst bei Weitereinnahme die Nebenwirkungen gefährlich werden können. Der Arzt wird unerwünschte Ereignisse einer Sammelstelle, z.B. der Schweiz. Arzneimittel-Nebenwirkungszentrale in Chur (SANZ) melden, die dann zusammen mit Hersteller und Arzneimittelbehörden die weiteren Abklärungen durchführt. Erst auf diese Weise werden seltene unerwünschte Arzneiwirkungen der Fachwelt und später auch der Oeffenlichkeit bekannt. Diese Regeln kommen natürlich auch bei der Einnahme neuer rezeptfreier Mitteln aus Drogerie oder Apotheke zur Anwendung. Lassen Sie sich vor dem Kauf von den entsprechenden Fachpersonen richtig beraten und fragen Sie nach der Erfahrung mit dem empfohlenen Mittel! Wenn nötig können Sie oder Ihr Apotheker mit Ihrem Hausarzt Rücksprache nehmen.
Dr. med. F. Rohrer Innere Medizin FMH, 4415 Lausen |
Psychopharmaka sind Substanzen, welche unser Gemüt, Befinden, Denken und Verhalten beeinflussen können. Seit der zufälligen Entdeckung der Wirkung von Chlorpromazin auf Geisteskranke 1952 veränderte ihre breite Einführung das Erscheinungsbild der Psychiatrie nachhaltig und ebnete den Weg für die kontinuierliche Reduktion von Klinikbetten zugunsten ambulanter Behandlungen. In jüngster Zeit machte die Entdeckung spezifischer angstlösender Bindungsstellen im Gehirn durch eine Forschungsgruppe um Prof. Hanns Möller von der ETH und der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit der Firma Hoffmann-La-Roche AG Schlagzeilen. Allerdings scheint den von der pharmazeutischen Industrie entdeckten Mitteln häufig mit zwiespältigen und misstrauischen Gefühlen begegnet zu werden - im Gegensatz etwa zu den altbekannten «Naturprodukten» wie Alkohol oder anderen Drogen, deren Wirkungen auf die menschliche Psyche nicht selten weniger kritisch beurteilt zu werden scheinen.
Zu den Psychopharmaka im engeren Sinne werden heute allgemein die Beruhigungsmittel (Tranquilizer), die Stimmungsaufheller (Antidepressiva) und die Medikamente gegen Denkstörungen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen (Neuroleptika) gezählt. Prominenteste Vertreter der Tranquilizer sind die sogenannten Benzodiazepine (z.B. Valium, Seresta, Temesta, Lexotanil u.v.a.), zu denen auch die meisten Schlafmittel gehören. Sie entfalten ihre eindrücklichen Wirkungen v.a. durch die Aktivierung hemmender Impulse (GABA-Neuronen) des Zentralnervensystems. Die wesentlichste Nebenwirkung besteht in der Gefahr der Entwicklung einer körperlichen und/oder psychischen Abhängigkeit, welche in der Literatur in bis zu 40% der Fälle beschrieben wird. Eine allfällige Abhängigkeit äussert sich v.a. dadurch, dass die Dosis des Medikamentes nach einiger Zeit gesteigert werden muss oder nach Absetzen Entzugssymptome auftreten - welche jenen Symptomen ähneln, deretwegen das Mittel ursprünglich eingenommen werden musste.
Diese Form der Abhängigkeit wird bei den Antidepressiva (z.B. Surmontil, Fluctine, Deroxat, Efexor u.v.a.) nicht beobachtet, die ebenfalls vor über 30 Jahren entwickelt wurden. Auf dem ständig wachsenden Markt kann man heute zwischen ca. 40 Substanzen unterschiedlicher Wirkungsmechanismen wählen. Sie führen nach ca. 3 Wochen regelmässiger Einnahme häufig, aber nicht immer, zu einer messbaren Stimmungsaufhellung mit Steigerung von Antrieb und Interesse in der Alltagsbewältigung. Ihre Wirkung wird mit dem Konzentrationsausgleich bestimmter Substanzen (z.B. Serotonin, Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin) an definierten Orten des Zentralnervensystems (z.B. im Spalt zwischen 2 Nervenzellen) erklärt. Die Nebenwirkungen (z.B. Verdauungsstörungen, Übelkeit, Schwindel, ev. Mundtrockenheit) erscheinen v.a. bei den neueren Medikamenten meist nur geringfügig einschränkend und auf die ersten Tage der Einnahme begrenzt; das Absetzen der Antidepressiva ist ausserdem prinzipiell jederzeit ohne Entzugssymptome möglich.
Bei den Neuroleptika unterscheidet man zwischen nieder- und hochpotenten Medikamenten: niederpotente Neuroleptika (z.B. Melleril, Truxal, Dipiperon) wirken v.a. beruhigend, angstlösend und schlafanstossend, währenddem hochpotente Neuroleptika v.a. Denk- und Affektstörungen, Wahnvorstellungen und Halluzinationen regulieren. Die Beeinträchtigungen durch Nebenwirkungen können z.T. erheblich sein und erst nach längerer Latenz auftreten (z.B. Parkinsonismus u.a. Bewegungsstörungen durch Haldol, Fluanxol, Dapotum); neuere Substanzen (z.B. Risperdal, Zyprexa) versprechen deutlich geringere Nebenwirkungen - zu allerdings massiv höheren Kosten.
Leider können auch heute noch die Wirkungen der Psychopharmaka auf die einzelnen PatientInnen und die benötigten Minimaldosierungen nicht einheitlich vorausgesagt werden, da sie durch zu viele individuelle Parameter (Alter, Geschlecht, Stoffwechsel, Gesundheit, Verhalten etc.) beeinflusst werden können. Die Behandlung mit Psychopharmaka - so sie notwendig ist - sollte deshalb stets unter therapeutischer Betreuung erfolgen. Und häufig werden mehrere Anläufe benötigt, um das richtige Medikament in der richtigen Dosierung finden zu können!
Dr. med. H. Burri Psychiatrie und Psychotherapie FMH, 4410 Liestal |
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